Freitag, 16. November 2012

„Wenn nicht morgen, wann denn dann?“


„Wenn nicht morgen, wann denn dann?“
Prokrastination: Wenn permanentes Aufschieben zum Problem wird 

„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“ heißt es in dem Gedicht „Stufen“ von Hermann Hesse. Das mag für einen Neubeginn, Veränderungen und wichtige Wegmarken des Lebens besonders gelten, denn Anfänge gehen oft mit Vorfreude, Aufbruchsstimmung und einer positiven Erwartungshaltung einher. Wie schwierig es zuweilen ist, mit einer eher ungeliebten, alltäglichen Tätigkeit zu beginnen, dürfte den meisten allerdings geläufig sein.

Jeder kennt die Problematik vom Anfangen und der Ablenkung durch allerlei Nebensächliches wohl aus eigener Erfahrung. Die Betroffenen haben für ihr Verhalten mit aufschiebender Wirkung zumeist wohlfeile Ausreden parat. Steuererklärung, Kellerentrümpelung oder gar der Beginn einer studentischen Hausarbeit stellen für viele Menschen offenbar extrem ungeliebte Tätigkeiten dar. Und aller Anfang ist gerade in solchen Fällen schwer. 

Ungeliebte Arbeiten sind zwar rational gesehen zumeist unumgänglich; den Betroffenen fallen stattdessen aber viel wichtigere Dinge ein, die es zunächst zu erledigen gilt. Die wissenschaftliche Hausarbeit wird dann gern, Studenten kennen dieses Phänomen, zugunsten der ansonsten eher unbeliebten tatsächlichen Hausarbeit, also dem Staubsaugen, Geschirr spülen und Wohnung putzen, verdrängt. „Morgen beginne ich die Examensarbeit. Morgen, ganz sicher!“.

Für nicht wenige Menschen allerdings hemmt die chronische Aufschieberitis, die wissenschaftlich unter dem Namen Prokrastination firmiert, das persönliche Fortkommen. Denn nicht anfangen zu können bedeutet immer auch nicht fertig zu werden und eine gestellte Aufgabe nicht in der vorgegebenen Zeit zu erledigen. Und wer nicht fertig wird und das Eigentliche ständig aufschiebt gilt gemeinhin als undiszipliniert und hat im schlimmsten Fall sein Leben nicht im Griff.

So empfindet der französische Staatspräsident Francois Hollande die täglichen Niederungen des Regierens - wie kürzlich im SPIEGEL nachzulesen war - offenkundig als derart unangenehm, dass die Opposition seinen Regierungsstil als Prokrastination verunglimpfte. Er beschäftige sich mit Zeitunglesen und verschicke SMS und erledige somit allerlei Nebensächliches; das Regieren sei ihm darüber abhandengekommen, heißt es. Von einem Zauber im Sinne Hermann Hesses keine Spur! 

Dabei sind es nicht nur die vermeintlich geistigen Tätigkeiten, die den Aufschieber in immer neue Ersatzhandlungen treiben, auch körperlich-praktische Arbeiten, die einem innerlich zuwider oder zumindest unangenehm erscheinen, können betroffen sein. Was dem einen die Steuerklärung, ist dem anderen die Kellerentrümpelung – all diesen Tätigkeiten ist gemein, dass sie als unangenehm und damit als verdrängungswürdig empfunden werden. 

Es scheint in der menschlichen Natur zu liegen, den Beginn einer verhassten Arbeit auf den St. Nimmerleinstag zu verschieben. Manchem Zeitgenossen mit der Diagnose Prokrastination kann letztlich nur eine Verhaltenstherapie helfen. Der Frankfurter Rapper Chima hat die Problematik in dem Charthit „Morgen“ auf den Punkt gebracht: „Morgen, bin ich wieder dabei und morgen, sind die Ausreden vorbei…Wenn nicht morgen, wann denn dann?“ Na dann, bis morgen!

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