Freitag, 28. Dezember 2012

Der schöne Schein der Adoleszenz


Der schöne Schein der Adoleszenz
Vom Jugendwahn zur Altersverachtung ist es nur ein kleiner Schritt

Vor einiger Zeit entdeckte der Verfasser über dem Portal einer altehrwürdigen Schule in Essen den Spruch „Heilig sei die Jugendzeit.“ Ein wie für die Ewigkeit in Stein gemeißelter Satz, der einem gerade zwischen den Jahren zu denken gibt. So ist er zwar vor über einhundert Jahren als Motto für Schulzeit und Jugendalter ausgewählt worden und datiert mithin aus der Ära der Kaiserzeit; programmatisch hat dieser Satz allerdings nichts von seiner Aktualität eingebüßt. Er beschreibt vielmehr die Überhöhung einer bestimmten Phase menschlicher Entwicklung und gibt einen Fingerzeig auf einen gegenwärtig zu beobachtenden gesellschaftlichen Prozess: Dem Übermaß an Aufmerksamkeit, die dem so vergänglichen Phänomen der Jugend zuteil wird.  

„Jugend ist Trunkenheit ohne Wein“, hat Johann Wolfgang Goethe einst in lyrischer Form zu Protokoll gegeben; ein Hinweis darauf, dass die Jugendzeit zu allen Zeiten ebenso verehrt wie verklärt wurde. Die heutige Zeit scheint aber geradezu berauscht zu sein von Jugend- und Adoleszenzverehrung. Jugendwahn und Jugendfixierung sind die alles beherrschenden Chiffren der Postmoderne: Auf Zeitschriftentiteln, in Fernsehserien, Büchern, Filmen und selbstredend in der Werbung sind junge Menschen in einer Fülle vertreten, die dem tatsächlichen Anteil dieser Gruppe an der Gesamtbevölkerung krass entgegenstehen. Jugendlichkeit und gutes Aussehen sind offenkundig angesagt. Magazine, Waren und TV-Produktionen verkaufen sich besser, wenn sie mit jugendlichen Darstellern aufgepeppt werden, die im Glanze ihrer Jugend Maienblüte stehen.

Dabei gehören Werden und Vergehen, Blüte und Verfall seit jeher zum menschlichen Dasein. Die Verklärung der Jugendzeit mitsamt ihrer vermeintlichen Attribute Schönheit, Attraktivität und Leistungsstärke dürfte damit ebenso alt sein wie die Menschheit daselbst. Eine relativ kurze Phase im Leben eines Menschen erhält damit eine Aufmerksamkeit, die alle darauf folgenden Lebensstufen buchstäblich „alt“ aussehen lässt - mit teilweise gravierenden Folgen. Denn dort, wo gutes Aussehen und Jugendlichkeit zu den Kennzeichen des modernen Menschen gehören und einen sozialen Machtfaktor innerhalb der Gesellschaft darstellen, scheint kein Platz mehr zu sein für Älterwerden, Faltenbildung und schütteres Haar.  

Für die vom ruinösen Verfall Bedrohten steht allerdings ein umfangreicher Vorrat an Cremes, Wässerchen und Pflegeserien zur Verfügung; diese gehören ebenso zum Arsenal des zeitgenössischen Menschen wie der regelmäßige Besuch von Fitnessstudios, Nasenkorrekturen oder Botox-Injektionen. Eine ganze Anti-Aging-Industrie hat sich darauf spezialisiert, Jugendlichkeit und junges Aussehen möglichst dauerhaft zu konservieren. Dabei ist Altern als biologischer Prozess weder umzukehren noch signifikant aufzuhalten; die meiste Zeit unseres Daseins werden wir alt sein - und dementsprechend alt aussehen. Eine für viele Zeitgenossen offenkundig erschreckende Vorstellung. Signifikante Wegmarken des eigenen Lebens, z. B. der vierzigste oder gar fünfzigste Geburtstag, geraten aus dieser Perspektive zu einer einzigen Horrorvorstellung.

Die allgegenwärtige, fast schon pathologische Jugendfixierung treibt darüber hinaus skurrile Blüten: Angehende Silver Surfer scheuen sich auch vor dem Hintergrund einer alternden Gesellschaft immer weniger, mit den Insignien und Inbegriffen einer popkulturellen, jugendlichen Markenwelt zu posieren. Obwohl (oder gerade deswegen?) die Erfindung der „werberelevanten Zielgruppe der 14- bis 49-jährigen“ ausgerechnet die konsumfreudigen und nachweislich liquiden, älteren Jahrgänge bewusst ignoriert. Vom Jugendwahn zur Altersverachtung ist es indes nur ein kleiner Schritt: Altersbashing war in den vergangenen Jahren schwer in Mode. Das Wort „Rentnerschwemme“ hat es vor einiger Zeit sogar zum „Unwort des Jahres“ gebracht - auch wenn es der Begriff „Altenplage“ vielleicht noch viel mehr verdient gehabt hätte.

In den letzten Jahrzehnten hat, offenkundig vom Turbokapitalismus stark begünstigt, ein krasser Wertewandel eingesetzt, der Altsein mit Attributen wie krank, unansehnlich, kostenverursachend, gebrechlich und leistungsschwach gleichsetzt. Altwerden ist wie Dicksein oder Krankheit gesellschaftlich überwiegend negativ konnotiert. Dabei ist Alter aus historischer Perspektive ein durchaus positiv besetzter Begriff: Im alten Rom und im antiken Sparta existierte ein Senat (wörtlich Ältestenrat), der durch Weisheit und abgeklärte Lebenserfahrung eine wichtige, beratende Funktion in Staatswesen und Polis ausfüllte. Auch Judentum und Christentum haben traditionell eine hohe Achtung vor dem Alter, man denke nur an die alttestamentarische Figur des weisen Methusalem, der angeblich erst im biblischen Alter von gerade einmal 969 Jahren verstarb.  

Der Respekt vor dem Alter scheint in der heutigen Zeit zugunsten der Jugendfixierung teilweise verloren gegangen zu sein. Dabei sind Schönheit und Jugendlichkeit kurzlebige und vergängliche Phänomene, die man denjenigen überlassen sollte, die tatsächlich jung und schön sind. Der Menschheit ewiger Traum vom Jungbrunnen hat sich, trotz aller technischen Finessen der Moderne, bislang nicht realisieren lassen. Wer sich nicht rechtzeitig mit diesen unumstößlichen Fakten arrangiert und mit dem Älterwerden seinen Frieden macht, tappt in die Falle eines vorbestimmten Altersunglücks. Ganze Kohorten der auf den gängigen Jugendkult Fixierten, die dem schönen Schein aus Makellosigkeit, glatter Haut und ewiger Adoleszenz erlegen sind, laufen Gefahr, ein kollektives Altersunglück zu erleiden.

Doch dazu muss es nicht kommen. Eine gelassene, abgeklärte Haltung zum Altern mit all seinen Begleiterscheinungen und Phänomenen, eine bewusste Abkehr vom Zahlenkult der Mehrheitsgesellschaft und eine Rückbesinnung auf diejenigen Werte im Leben, auf die es tatsächlich ankommt, weisen einen Ausweg. Auch ein wenig Demut vor dem Alter könnte nicht von Schaden sein. Der ein wenig abgedroschene Satz, nachdem man immer nur so alt sei, wie man sich gerade fühlt, tut ein Übriges. Er spannt einen Bogen vom kalendarischen zum biologisch gefühlten Lebensalter, ohne dieses beschönigen oder relativieren zu wollen. „Heilig sei die Jugendzeit“ hieß es zu Beginn. Durchaus, möchte man hinzufügen, die verbleibende Lebenszeit danach aber auch!  

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