Freitag, 14. Dezember 2012

Im Auge des Sturms


Im Auge des Sturms
Shitstorm - Wenn das Netz zum Pranger wird

Der Herbst ist eine Jahreszeit, in der nicht nur die Blätter beschaulich zu Boden fallen. Der Herbst geht immer wieder auch mit Stürmen und Starkwinden einher, die Dächer abdecken, Bäume entwurzeln und Haarteile aufwirbeln. Herbstzeit – Sturmzeit. Dass sich im Herbst auch ein Sturm der ganz anderen Art ereignen kann, der als Shitstorm nicht selten das Ausmaß eines virtuellen Orkans erreicht, ist indes ein Phänomen neuerer Zeit.

Als Shitstorm bezeichnet man eine öffentliche Entrüstung im Internet, die von Beleidigungen und Drohungen begleitet ist. Dabei fängt alles zumeist ganz harmlos an. Wie kürzlich mit einer Kolumne für Brigitte.de, in der sich die Redakteurin Bianka Echtermeyer über postjugendliche Hipster aus dem Hamburger Szenestadtteil St. Pauli echauffiert, die im Alter von 25 Jahren noch mit dem Skateboard unterwegs sind und partout nicht erwachsen werden wollen:

"Das sind oft Typen, die eine schräge Pony-Frisur tragen, nie lächeln und nach der Party von letzter Nacht riechen. Am liebsten würde ich die am ergrauten Schopf packen und anschreien: "Hör auf damit! Dafür bist du zu alt. (…) Skateboards gehören zu kleinen Jungs!“

Das ist zwar fein beobachtet und sicherlich stark übertrieben - aber darum geht es natürlich gar nicht. Bemerkenswert an diesem Fall ist nicht der kontroverse persönliche Geschmack der Autorin, der selbstredend von der Meinungsfreiheit gedeckt ist. Entscheidend an diesem Beispiel ist vielmehr was dann passierte. Denn nach Veröffentlichung der Kolumne ergoss sich ein beispielloser Shitstorm über die Autorin.
                                     
Die Kolumnistin hatte - bei aller Polemik und scharfzüngiger Übertreibung - offenkundig einen Nerv getroffen, der die so arg Kritisierten zu heftigsten Reaktionen anstachelte. Die Schmähungen und Drohungen in den Kommentaren zum Artikel waren zum Teil derart massiv, dass die Redaktion den Beitrag zeitweilig aus dem Netz nahm und sich für seinen Inhalt sogar entschuldigte.

Man muss sich nur einmal die Mühe machen und all die selbstgerechten, beleidigenden, unsachlichen und teilweise diffamierenden Kommentare unter einem x-beliebigen Internet-Artikel lesen. Die Pöbel-Attacken virtueller Wutbürger, die glauben, sich im Schutz ihrer vermeintlichen Netz-Anonymität alles erlauben zu können, lassen einen zuweilen an der Demokratie ernsthaft zweifeln.

Im Shitstorm kulminiert dieser Verbal-Vandalismus dann in Echtzeit und bekommt eine rasante Eigendynamik, die durch Social Media, Blogs und Foren zusätzlich befeuert wird. Mit demokratischer Streitkultur, sachlich-fairer Auseinandersetzung oder gar Meinungsfreiheit hat ein derart entfachter Shitstorm nichts mehr zu tun, im Gegenteil.

Ein Shitstorm beschädigt die Debattenkultur, missachtet Pluralität und Meinungsfreiheit; er setzt überdies die potentiellen Opfer unter enormen psychischen Druck. Die Folge eines Shitstorms könnten weichgespülte Mainstream-Meinungen sein, die sich aus Angst vor dem virtuellen Mob nicht mehr trauen, Farbe zu bekennen und mit unpopulären Meinungen anzuecken.

Die Freiheit im Internet ist ein hohes Gut. Mit Freiheit muss jedoch immer auch verantwortungsvoll umgegangen werden; Freiheit im Netz darf nicht dadurch missbraucht werden, dass man den anderen persönlich beleidigt oder diffamiert. Die Grenzen der demokratischen Streitkultur unserer Gesellschaft müssen auch im Internet Bestand haben.

Das Internet und insbesondere das Web 2.0 dürfen nicht durch die Infantilität einiger Nutzer zum virtuellen Pranger verkommen. Es gilt daher, mehr Fairness walten zu lassen, das Internet insgesamt zu zivilisieren und nicht den Pöblern zu überlassen. Auf das der nächste Shitstorm zu dem wird was er von jeher sein sollte: ein herbstlicher Sturm im Wasserglas.


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