Freitag, 1. März 2013

Alle gegen Amazon


Alle gegen Amazon
Wie viel bringen Boykott-Aufrufe gegen den Online-Händler Amazon wirklich?

Nach der kürzlich in der ARD ausgestrahlten Dokumentation über ausländische Leiharbeiter bei Amazon ist ein Shitstorm über den US-Konzern hereingebrochen. Aufgebrachte Konsumenten hinterließen zu Hunderten wütende Kommentare auf der Facebook-Seite des Konzerns, die bis heute immerhin 2,8 Millionen „Fans“ zählt.

Besonders empört reagierten die meisten Kunden über menschenunwürdige Unterkünfte, miese Bezahlung und die generell prekären Arbeitsbedingungen bei Amazon. Viele Beschäftigte leben dem Bericht zufolge in Massenunterkünften und wurden dort zum Teil von einem zwielichtigen Sicherheitsdienst drangsaliert.

Viele Kommentare auf Amazons Facebook-Seite wurden mit dem Hinweis versehen, die Firma in Zukunft zu boykottieren und „nie wieder“ etwas bestellen zu wollen. Auch haben viele Amazon-Kunden angekündigt, ihren Account bei dem E-Commerce-Riesen ganz zu löschen, was ungefähr aufs selbe rauskommt.

Bei rund 16,7 Millionen Amazon-Kunden in Deutschland (2009) dürfte ihre Zahl allerdings nicht sonderlich ins Gewicht fallen, zumal vielen Kunden die Sorgen der Amazon-Beschäftigten einigermaßen egal sind. Aber wie ernst sind Boykott-Aufrufe gegen Konzerne generell zu nehmen?

Enden die guten Vorsätze nicht spätestens an der Schnäppchen-Kasse beim nächsten, unwiderstehlichen Super-Sonderangebot? Geiz ist ja bekanntlich „geil“ und lässt über so manch Unbill hinwegsehen. Nur die wenigsten Kunden sind wirklich konsequent und lassen ihren oft großspurigen Ankündigungen Taten folgen.

Muss im Fall Amazon nun mit einem massiven Kunden-Boykott gerechnet werden? Wohl eher nicht. Denn Amazon ist mit seinem umfassenden Angebot, niedrigen Preisen, generösen Lieferbedingungen und einer hohen Kundenzufriedenheit auf dem deutschen Online-Markt so gut wie konkurrenzlos.

Das moralische Aufbegehren gegen offensichtliche Missstände ist - ähnlich wie bei einem Shitstorm - ein zumeist kurzlebiges Phänomen. Sobald sich der erste Ärger gelegt hat, gewinnen wieder altbekannte Verhaltensmuster die Oberhand: Bequemlichkeit, Gewohnheit und vor allem die der menschlichen Natur innewohnende Trägheit.

Die Halbwertzeit öffentlicher Entrüstungszustände beträgt meist nur wenige Wochen. Der Egoismus der Konsumenten überflügelt den flüchtigen, moralischen Rigorismus zudem rasch; insbesondere dann, wenn das betroffene Unternehmen Besserung gelobt und die schlimmsten Auswüchse schnell zu beseitigen verspricht.

Der Philosoph Immanuel Kant hat das Grundprinzip seiner Ethik, den kategorischen Imperativ, einst mit den Worten definiert: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Das ist wohl gesprochen und könnte auch für das Verbraucherverhalten im Fall Amazon gelten.

Die Kunden könnten durch massenhaften Boykott und öffentlichen Druck bessere Arbeitsbedingungen bei Amazon zu einem „allgemeinen Prinzip“ erheben und das Unternehmen zum Wohle der Beschäftigten zu Änderungen zwingen. Denn die Konsumenten verfügen nicht nur über Macht - sie haben auch eine Mitverantwortung.

Aber das ist alles graue Theorie, denn aus Kritik entwickelt sich nur in den seltensten Fällen ein handfester Boykott. Die Skandale um Aldi, Lidl, H&M oder Apple lassen grüßen. Insoweit bringen Boykott-Aufrufe gegen Amazon wohl leider herzlich wenig. Trotz Kants kategorischem Imperativ.

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