Donnerstag, 14. März 2013

Schröders Meisterstück


Schröders Meisterstück
Die Agenda 2010 wird zehn Jahre alt

Als Bundeskanzler Gerhard Schröder am Morgen des 14. März 2003 in einer Regierungserklärung ein Reformprogramm mit dem sperrigen Titel „Agenda 2010“ ankündigte, ahnte wohl niemand, welch tiefgreifende Einschnitte in den Sozialstaat damit verbunden sein würden. Deutschland galt damals mit 4 Millionen Arbeitslosen als der reformunfähige, „kranke Mann Europas“.

Heute, zehn Jahre später, steht die Bundesrepublik - darin sind sich die meisten Beobachter einig - auch dank der Agenda 2010 wirtschaftlich gut da. Insbesondere der Vergleich mit den Volkswirtschaften Frankreichs, Englands oder Italiens belegt, dass die Strukturreformen in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik erfolgreich waren. Deutschland hat gerade noch rechtzeitig die Kurve gekriegt.

Doch worum ging es bei der Agenda 2010? Zunächst wurde durch eine Neuordnung der Bundesagentur für Arbeit angestrebt, die Menschen schneller in Arbeit zu bringen. Neben Reformen bei Zeitarbeit, Ich-AGs, Mini-Jobs und Kündigungsschutz bestand das Kernstück der Agenda aber vor allem in der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe.

Insbesondere die Verkürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes auf 18 bzw. 12 Monate und der damit verbundene Absturz in das vom Volksmund rasch „Hartz IV“ titulierte ALG II erregten den Volkszorn. Für weite Teile des deutschen Mittelstandes war Hartz IV fortan das personifizierte Menetekel einer tiefsitzenden Abstiegsangst; die Parole „Fördern und Fordern“ klang da wie blanker Hohn.

Für die SPD brachen mit der Durchsetzung der Agenda schwere Zeiten an: Machtverlust in den Ländern, Gründung der Linkspartei und ein Vertrauensverlust in ihrer Kernkompetenz, der „sozialen Gerechtigkeit“, der die Partei dauerhaft in ein 30-Prozent-Gefängnis einkerkerte. Schröder hat mit der Agenda 2010 nicht nur der SPD und den Menschen viel zugemutet; er hat seine Macht riskiert und 2005 verloren.

Was politisch richtig und ökonomisch notwendig ist, ist eben meist nicht populär. Die Agenda 2010 enthielt tatsächlich zahlreiche Unzulänglichkeiten; sie verteilte die
Zumutungen einseitig an die Schwächsten im Land, denn Reiche wurden kaum belastet. Darüber hinaus wurden prekäre Beschäftigungsverhältnisse wie Zeit- und Leiharbeit ausgeweitet, die Schere zwischen Arm und Reich ist größer geworden.

Seit den Hartz-Reformen ist der Druck auf Arbeitslose enorm gestiegen, das soziale Klima ist rauer geworden; überall lauern nun Sanktionen. Und doch war die Agenda 2010 ein richtiger Schritt, weil die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft gestärkt und der Sozialstaat wieder auf eine solide Grundlage gestellt wurde. Ohne die Reformen wäre Deutschland wohl kaum so gut durch die Finanzkrise gekommen.

Auf kurze Sicht war die Agenda 2010 ein Werk voller Zumutungen, Pannen und handwerklicher Fehler; mittel- bis langfristig war sie ein Instrument, das die Arbeitsvermittlung beschleunigte, die Sozialkassen entlastete und die Arbeitslosigkeit signifikant senkte. Der Historiker Heinrich August Winkler hat das Reformwerk schon 2009 als eine „überfällige Erneuerung des Sozialstaats“ gelobt. Zu Recht.

Ob Angela Merkel den Mut dazu aufgebracht hätte? Wohl kaum. Was für Adenauer die Westintegration und Brandt die Neue Ostpolitik war, gelang Helmut Kohl mit der Wiedervereinigung. Gerhard Schröders herausragende Leistung war die Agenda 2010. Sein Name wird mit der Erneuerung und nicht mit der Abschaffung des Sozialstaates verbunden sein, was oft fälschlicherweise behauptet wird.

Die Agenda 2010 ist Schröders Meisterstück - allen Schwächen und Fehlern zum Trotz.  

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen