Sonntag, 6. Oktober 2013

Das Lächeln der Mona Lisa


Das Lächeln der Mona Lisa
Viele Museumsbesucher sehen die Welt nur noch durch die Sucher ihrer Videokameras

Das geheimnisvolle Lächeln der „Mona Lisa“ und ihr herausfordernder Blick sind legendär. „Mona Lisa“, gemalt vom italienischen Meister Leonardo da Vinci (1452-1519), ist das wohl berühmteste Gemälde der Welt. Es hängt im Pariser Louvre und hat dort einen Ehrenplatz. Tausende Museumsbesucher defilieren täglich an der alten Dame vorbei und viele sind wohl nur ihretwegen gekommen.

Neulich wurde ich im Louvre Zeuge einer fragwürdigen Entwicklung in vielen Museen dieser Welt, welche die Benutzung von Fotoapparaten und Videokameras in ihren Ausstellungsräumen gestatten: Zahlreiche Besucher nehmen die ausgestellte Kunst nicht mehr mit ihren eigenen Augen wahr, sondern „sehen“ die Exponate nur noch durch die Sucher ihrer Videokameras und Smartphones.

Es wird gefilmt, fotografiert und sich vor den Kunstwerken in Szene gesetzt als gäbe es kein Morgen mehr. Auf Bildinhalte wird kaum geachtet, denn der Museumsbesucher degradiert sich freiwillig zu einem passiv beteiligten Kameramann, der sich nicht mehr auf die eigenen Augen und den unmittelbaren, subjektiven Seheindruck verlässt. Die Kunstbetrachtung degeneriert zum inhaltsleeren Event.

Insbesondere Besucher aus dem ostasiatischen Kulturkreis, denen von Haus aus eine hohe Affinität zu Videokameras und Technik zu Eigen ist, verlassen sich ganz darauf, die dargestellte Kunst als Erinnerung für daheim abzufilmen, ohne diese je selbst mit den eigenen Augen betrachtet zu haben. Der weltweite Siegeszug der Smartphones hat die Tendenz zu einer ganz und gar verfilmten Welt noch verstärkt.

Die gläserne Eingangspyramide des Louvre

Dabei ist das menschliche Auge ein Wunderwerk der Evolution: Es lässt uns sehen und alle Schönheit wie Hässlichkeit in den schillerndsten Farben erkennen. Auch große Kunst können wir mit Hilfe unseres Sehsinnes geradezu wörtlich „in Augenschein“ nehmen. Dass dies nicht für alle Besucher gilt, dürfte auch an dem Hang vieler Museen liegen, ständig große Massenevents zu produzieren.

Der Drang, alles abzufilmen, in Echtzeit zu posten und für die Ewigkeit zu sichern, ist mittlerweile weit verbreitet. Bei Rock- und Popkonzerten ist der Blick auf die Bühne angesichts Hunderter in die Höhe gereckter Smarthphones zuweilen komplett verstellt. Viele Konzertbesucher verlassen sich anscheinend nicht mehr auf die Unmittelbarkeit ihrer eigenen, sinnlichen Wahrnehmung: Das Handy muss laufen!

Die Unmittelbarkeit des Augenblicks, das flüchtige Face-to-Face, das bewusste im-Moment-Wahrnehmen gehen dabei verloren. Auf diese Weise entsteht eine konstruierte Wirklichkeit, welche die Welt und die Kunst mit den Augen der Technik neu fabriziert. Dass das ständige Knipsen und Draufhalten viele „analoge“ Besucher stören könnte, kommt den Technikfreaks dabei nicht in den Sinn.

Der „Mona Lisa“ könnte angesichts der Menschenmassen, die einzig und allein zum Abfilmen der Kunst-Ikone in den Pariser Louvre strömen, das eigentümliche Lächeln schon mal vergehen. Aber wer weiß, vielleicht gefällt ihr die große Anteilnahme ja auch. Man unterschätze in diesem Punkt die Eitelkeit der Frauen nicht. Und tatsächlich, sie lächelt ja auch. Noch immer.  

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