Donnerstag, 28. Dezember 2017

Der Niedergang der SPD

Der Niedergang der SPD
Die Geschichte der SPD und ihrer Wählerschaft ist die Chronik einer allmählichen Entfremdung

20,5 Prozent. Das ist das erschütternde Ergebnis, das die SPD bei der vergangenen Bundestagswahl eingefahren hat. 20,5 Prozent. Man muss sich diese Zahl wieder und wieder vor Augen führen, um das ganze Ausmaß des Niedergangs der einst so großen und stolzen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands zu begreifen. Die SPD hat im September diesen Jahres nicht einfach nur eine Wahl verloren, sie hat in geradezu epischem Ausmaß Schiffbruch erlitten. Bereits um 18.03 Uhr trat am Wahlabend ein sichtlich konsternierter Kanzlerkandidat vor die Kameras, um voreilig den Gang der SPD in die Opposition zu verkünden und damit die ungeliebte große Koalition demonstrativ zu beenden. Martin Schulz kündigte zudem an, die SPD personell und inhaltlich zu erneuern. „Wir haben verstanden" schien der geneigte Beobachter den großspurigen Ankündigungen eines vermeintlich geläuterten SPD-Vorsitzenden zu entnehmen.

Doch geschehen ist seitdem das genaue Gegenteil. Die SPD hat weder inhaltliche Konsequenzen aus der Wahlschlappe gezogen, noch ihr Personal ausgetauscht. Martin Schulz wurde im Dezember erneut zum Vorsitzenden und Andrea Nahles zur Fraktionsvorsitzenden im Bundestag gewählt; auch die stellvertretenden Parteivorsitzenden sind im Großen und Ganzen die alten geblieben. Dabei hätte die SPD einen personellen und programmatischen Neuanfang bitter nötig. Warum aber ist die SPD bei den Landtagswahlen des Jahres 2017 und vor allem bei der letzten Bundestagswahl so derart abgestürzt und hat dabei ihr schlechtestes Wahlergebnis seit Bestehen der Bundesrepublik eingefahren? Offenkundig gelingt es der Partei gegenwärtig nicht mehr, ihr klassisches Milieu für die Politik der SPD zu begeistern; auch ihre Fähigkeit zu ergründen, was die Menschen wirklich umtreibt und bewegt, ist der Partei abhanden gekommen. Der Slogan „Zeit für mehr Gerechtigkeit“ stellt mithin den Höhepunkt einer allmählichen Entfremdung zwischen Wählerschaft und SPD dar.

Denn die Wähler haben dem zentralen Wahlversprechen nach mehr Gerechtigkeit eine demonstrative Absage erteilt da sie wohl instinktiv gespürt haben, dass derlei hehre Ziele durch Politik kaum je zu erreichen sind. Wenn man diese Welt mit wenigen Begriffen umschreiben müsste, fiele einem zweifellos auch der Begriff „ungerecht“ ein. Ein Umstand, den auch eine SPD über Nacht nicht verändern kann. Wer beim Wähler dessen ungeachtet eine solch hohe Erwartungshaltung nach „mehr Gerechtigkeit“ weckt, sollte sich nicht wundern, wenn die meisten Bürger realistischer denken und diesen utopischen Weg nicht mitgehen. Zumal die SPD seit 1998 an vier Bundesregierungen beteiligt war und durch die Hartz-Reformen und die vergangenen Rentenkürzungen maßgeblich für neue Ungerechtigkeiten verantwortlich zeichnet. Dass sich diese Partei nun aufschwang, von mehr Gerechtigkeit zu schwadronieren, erschien infolgedessen einigermaßen unglaubwürdig. Kurzum - die SPD lag mit ihrer zentralen Wahlkampfbotschaft komplett daneben. Auch der Kanzlerkandidat der SPD, Martin Schulz, der auf dem Wahlparteitag im März 2017 mit 100 Prozent noch ein Honecker-Jubelergebnis einfahren konnte, stellte sich im Wahlkampf als der wohl schwächste sozialdemokratische Bewerber fürs Kanzleramt seit 1949 heraus.

Parteichef Schulz (r.), Vize Stegner nach der NRW-Wahl

 Martin Schulz war es zwar gelungen, seine Genossen zu einen und von sich zu überzeugen, beim Wähler kam der rhetorisch wenig begabte und weitgehend charismalose Politiker jedoch nicht an. Schulz wurde von den meisten Menschen letztlich als ein für das Kanzleramt ungeeigneter, zuweilen linkisch agierender, sich widersprüchlich äußernder früherer EU-Apparatschik wahrgenommen, der keine wirkliche personelle Alternative zur „ewigen“ Kanzlerin darstellte. Sowohl der Kandidat als auch seine zentralen Wahlkampfbotschaften waren demnach die falschen. Denn die Menschen waren im zurückliegenden Jahr - die Kölner Silvesternacht 2015/16 war noch frisch im Gedächtnis verankert - vor allem an der Lösung der Migrationskrise und an Fragen der inneren Sicherheit im Land interessiert. Die SPD antwortete darauf mit der Forderung nach einer Bürgerversicherung, einer Reichensteuer, der Ehe für Alle und eben jenem verquasten Slogan nach mehr sozialer Gerechtigkeit. Sie hat damit unter Beweis gestellt, dass ihre Politikangebote völlig an der Lebensrealität der meisten Menschen im Land vorbeigehen. Die SPD verfolgte einmal mehr vor allem die Besserstellung gesellschaftlicher Minderheiten; der Draht zum Normalbürger, zur Mitte der Gesellschaft und ihrer berechtigten Anliegen ging darüber auf dramatische Art und Weise verloren.

Dies wurde nicht zuletzt nach dem „Umfallen“ der Partei im Zuge der Weichenstellung für eine neuerliche großen Koalition deutlich. Das wenig professionelle Agieren nach der Wahl wurde von politischen Forderungen an die Union flankiert, die erneut jedes Augenmaß und jeden Bezug zur politischen Realität vermissen lassen. Insbesondere der von der SPD aus humanitären Gründen geforderte Familiennachzug für Flüchtlinge steht den Interessen der meisten SPD-Wähler diametral entgegen. Denn die bemerken vor Ort sehr gut, wie sich ihre Stadtteile schleichend aufgrund der seit 2015 vollzogenen, ungeregelten Massenzuwanderung im Zuge der Flüchtlingskrise verändert haben. Der zeitweilige Kontrollverlust und das Gefühl vieler Bürger fremd im eigenen Land zu sein, haben viel Vertrauen in Staat und Parteien verspielt und zum Erstarken der rechtspopulistischen AfD geführt. Dass gerade die klassische SPD-Klientel in sozialschwachen Arbeiterstadteilen mit den negativen Folgen der Zuwanderung im Alltag alleingelassen wird, zeigt, wie realitätsenthoben die elitären Genossen in Bund und Ländern mit ihren universalistischen Forderungen agieren. Dabei wird der Familiennachzug besonders von der SPD mit ihren notorischen Neigungen zu weltumspannenden Fensterreden und einer Moralisierung des Politischen zum Allheilmittel für alle Probleme rund um das Thema Zuwanderung und Integration verklärt.

Der geforderte Familiennachzug wird aber alle bisher vorhandenen Probleme eher noch verschärfen denn lösen, er wird die Menschen zu weniger Integration und Anstrengung animieren, vorhandene Parallelgesellschaften befördern und auch die Islamisierung mit hoher Wahrscheinlichkeit verstetigen. Wer das nicht für möglich hält, sollte einmal nach Frankreich blicken, wo vor 40 Jahren eine ebensolche Entwicklung einsetzte. Dort hatte man seit den 1950er Jahren Migranten als billige Arbeitskräfte für die französische Industrie nach Frankreich geholt. Die Anwerbung von Arbeitskräften aus den Maghrebstaaten wurde zwar in den 1970er Jahren gestoppt, die Menschen erhielten jedoch das Recht zu bleiben und ihre Angehörigen nachzuholen. Der französische Staatspräsident Valéry Giscard d’Estaing und sein Premierministier Jacques Chirac verabschiedeten 1976 ein entsprechendes Gesetz zur Familienzusammenführung. Was letztlich als humanitäre Geste gut gemeint war führte zu einer zahlenmäßig starken Einwanderung von weitgehend unqualifizierten Menschen aus der früheren französischen Kolonie Algerien, auf die das Land schlecht vorbereitet war.

Die Konsequenzen dieser Einwanderungswelle aus Nordafrika, die kaum sozial flankiert und durch ausreichende finanzielle Mittel und Arbeitsplatzangebote abgesichert wurde, lassen sich heute in jeder größeren Stadt Frankreichs besichtigen: Banlieues, Vorstadt-Ghettos, soziale Verwahrlosung, Arbeitslosigkeit, Gewalt, Kriminalität und Frustration bis hin zu Islamisierungstendenzen haben sich zu einem gefährlichen sozialen Sprengstoff im Land verdichtet. Den rechtsradikalen Front National Marine Le Pens würde es ohne die aus der Einwanderung resultierenden Probleme wohl kaum geben. Gelegentlich kann es also nicht schaden, in die Geschichte zu schauen, um daraus Lehren für die eigene Gegenwart und Zukunft des Landes abzuleiten. Auch Schulz’ radikaleuropäischer Vorschlag, die „Vereinigten Staaten von Europa“ zu begründen und alle Länder, die diesen Schritt nicht mitgehen wollen, kurzerhand aus dem Staatenbund herauszuschmeißen, sorgt bei vielen Menschen vor Ort nur noch für fassungsloses Kopfschütteln. Denn die meisten Menschen sehen im demokratischen Nationalstaat nicht das zentrale Problem das es zu überwinden und gegen Europa auszuspielen gelte, sondern vielmehr den Hort für ökonomischen Wohlstand, innere Sicherheit und regionale Heimatverbundenheit - wohlgemerkt in einem vereinigten Europa der Völker.

SPD-Wahlplakat: ist der Niedergang noch aufzuhalten?

 Was das alles nun für die SPD bedeutet? Die SPD sollte wieder in ihre Basis hineinhören und ergründen, was den Leuten wirklich unter den Nägeln brennt. Sie sollte akzeptieren, dass die Menschen, die hier Steuern und Beiträge zahlen im Gegenzug in Ruhe und Frieden arbeiten und leben möchten, um am Ende ihres Arbeitslebens eine auskömmliche Rente beziehen zu können. Die SPD sollte realisieren, dass sie nicht alle Probleme dieser Welt hierzulande lösen kann und sich in erster Linie - bei aller Solidarität mit den Mühseligen und Beladenen in den Krisenregionen - um die Alltagssorgen der hier lebenden Bevölkerung zu kümmern hat, ansonsten wird sich eine inzwischen bedrohlich stark gewordene AfD dieser Aufgabe zuwenden. Die SPD sollte sich daher wieder verstärkt um ihre Kernklientel, um die sogenannten kleinen Leute, die Abgehängten aber auch um die hart arbeitende Mitte der Gesellschaft kümmern, die den Laden tagtäglich am Laufen hält.  Sie sollte sich von ihrem humanitär-moralischen Rigorismus verabschieden und wieder den gesunder Menschenverstand zur Geltung bringen, der sie früher einmal ausgezeichnet hat. Und sie sollte sich zu ihren historischen Wurzeln im Sinne einer modernen, im Gegensatz zur AfD zivilen Religionskritik bekennen, wie sie es im 19. Jahrhundert in der Auseinandersetzung mit dem klerikalen Christentum getan hat. Denn auch das Anwachsen des religiösen Fundamentalismus und die islamistische Terrorgefahr treiben die Menschen vor Ort um; Islamkritik pauschal als „Rassismus“ oder „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ zu diffamieren, wie es das Parteiestablishment gerne tut, zeigt nur, wie weit sich die Eliten in der SPD von den Sorgen der Menschen mittlerweile entfernt haben.

Schließlich sollte die SPD einer dritten Auflage einer großen Koalition binnen 12 Jahren eine Absage erteilen. Sie sollte sich kein weiteres Mal als Königsmacher für eine letzte Amtszeit Angela Merkels zur Verfügung stellen. Denn die Partei würde in der Regierung nur weiteres Profil verlieren, da die erhoffte Regeneration und Neubesinnung in der Opposition ausbliebe. Die SPD sollte sich vielmehr als konstruktiver Partner für die Duldung einer von CDU/CSU geführten Minderheitsregierung anbieten. Auch so kann verantwortliches politisches Handeln in einer Demokratie aussehen! Denn bei Lichte besehen ist die SPD seit der Bundestagswahl politisch insolvent, ihre Beziehung zu den Bürgern nachhaltig gestört. Ein erneuter Eintritt in eine vom Wähler mehrheitlich nicht gewollte große Koalition würde nichts anderes als eine Insolvenzverschleppung darstellen, die den Fortbestand der Partei ernsthaft gefährden würde. In nicht allzu ferner Zukunft könnte die SPD bei Wahlen dann gar hinter der AfD oder der Linken landen. Die strukturelle Schwäche der sozialistischen Parteien in Europa, die in Frankreich, den Niederlanden oder in Griechenland zuletzt nur noch einstellige Wahlergebnisse erzielen konnten, sollte der SPD als Warnung genügen. Denn nur wer sich beizeiten neu erfindet und auch personell umfassend erneuert, wird die kommenden Zeiten überdauern.  

Hat die SPD die Zeichen der Zeit erkannt? Es sieht nicht wirklich danach aus. Das letzte Kapitel im finalen Niedergang der SPD wird wohl erst noch geschrieben werden müssen. 

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