Donnerstag, 6. Dezember 2012

Comeback des Feudalismus


Comeback des Feudalismus
Die deutsche Gesellschaft ist immer weniger durchlässig

Die Leiter ist ein Gegenstand, mit dem man vortrefflich nach oben steigen kann; sie eignet sich aber auch, um von dort wieder hinabzusteigen. Uns soll zunächst nur der Aufstieg interessieren. Denn die Leiter wird allzu gern als Metapher gewählt, sobald von sozialem Aufstieg die Rede ist, wenn es also gilt, die Karriereleiter zu erklimmen und in eine höhere soziale Schicht vorzurücken.

Was jedoch, wenn der Weg nach oben verstellt ist, der soziale Aufstieg stockt, oder, um im Bilde zu bleiben, der Leiter schlicht die notwendigen Sprossen fehlen um von ganz unten nach ganz oben zu gelangen? Wie eine Studie der OECD jüngst ergab, erreichen nur rund 20 Prozent der jungen Deutschen einen höheren Bildungsabschluss als ihre Eltern, ein im internationalen Vergleich schlechter Wert.

Zudem kommen nur noch 17 Prozent aller Studierenden aus Arbeiterfamilien, Tendenz fallend. Die deutsche Gesellschaft ist offenkundig immer weniger durchlässig für Bildungsaufsteiger; Aufsteigerkarrieren und soziale Mobilität werden seltener. Seit den 1990er Jahren entscheidet wieder zunehmend die Herkunft und weniger die individuelle Leistung, welche Position man im Leben erlangen kann.

Die aus dem Zeitalter des Feudalismus stammende Schichtimmobilität bestimmte praktisch mit der Geburt, welche Lebenschancen der Einzelne hatte. Die Bildungsexpansion der 1970er Jahre mit Universitätsgründungen, Kollegschulen, Lernmittelfreiheit und einem BAföG für (fast) alle beseitigte zum ersten Mal die Barrieren tradierter Schichtgrenzen. Auch Studiengebühren gab es damals noch nicht.

Die bundesdeutsche Nachkriegsgesellschaft war nicht nur eine Leistungsgesellschaft, sie war auch eine Aufstiegsgesellschaft mit einem inkludierten Versprechen: Jeder kann es nach oben schaffen, wenn er sich nur anstrengt. Der expandierende Sozialstaat hatte die Funktion eines „Schicksalskorrektors“ (Heribert Prantl), der Menschen aus bildungsfernen Schichten besonders förderte und Benachteiligungen abzubauen versprach.

Warum ist die Gesellschaft immer weniger durchlässig? Menschen, die zur Elite gehören rekrutieren einander wieder zunehmend aus der eigenen Schicht heraus, so dass es zu einer Vererbung von sozialem Status und Privilegien kommt. Zudem hat ausgerechnet die Generation, die einst am meisten von der Bildungsexpansion profitierte und inzwischen an einflussreiche Posten gelangt ist, die Strickleitern zum sozialen Aufstieg im Zeichen von Rationalisierung und Sozialabbau klammheimlich eingeholt.

Aber auch die Betroffenen selbst stehen sich und ihrem individuellen Aufstieg immer wieder selbst im Weg und absolvieren lieber eine klassische Ausbildung anstatt sich auf das Risiko eines gebührenpflichtigen Studiums einzulassen. Dieses Sicherheitsdenken ist verständlich, kann aber das persönliche Vorwärtskommen hemmen. Kindern von Nichtakademikern fehlt es zudem oft an Aufstiegsvorbildern und positiven Impulsen von außen.

Chancengleichheit, soziale Gerechtigkeit und gesellschaftliche Durchlässigkeit stehen im Zeitalter von Turbokapitalismus und Globalisierung nicht besonders hoch im Kurs. Vielmehr ist eine aufstiegsresistente, statische Gesellschaft auszumachen, die dem Aufstiegswilligen allzu gern das Mantra „Schuster, bleib bei deinem Leisten!“ entgegenschleudert. Jeder möge an dem Platz verharren, wo der Herrgott ihn einst hingestellt hat. Eine Auffassung, die ganz dem konservativen Menschenbild entspricht.

Es ist immer von besonderer Tragik, wenn Menschen unter ihren Möglichkeiten bleiben und nicht ihren Begabungen entsprechend tätig sind. Benjamin Franklin hat diese Menschen als „Sonnenuhren im Schatten“ bezeichnet. Die früher einmal offenen Kanäle zum sozialen Aufstieg sind heute vielfach blockiert. Damit wird leichtfertig auf ein großes gesellschaftliches Potenzial verzichtet. Der Feudalismus scheint - zumindest partiell - ein unerwartetes Comeback zu feiern.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen